Theodor Creizenach              Sonette zum Jahresschlusse 1866

1818 – 1877

 

I.

 

Nie hat so bang und feierlich geschlagen

Die Jahresglocke dieser Stadt Genossen,

Nein, immer hoffnungsreicher sah man sprossen

Den wohlgepflegten Stamm aus alten Tagen.

 

Und Frankfurt hat sein blühendes Behagen

Nicht kleinen Sinns für sich allein genossen,

Hat seine Fülle reich und gern erschlossen,

Wo ihm ans Ohr gedrungen deutsches Klagen.

 

Nicht viel den Danks ist ihm zu Theil geworden;

Ja, Hohn erklang von deutscher Ströme Borden,

Dieweil erlosch ein deutscher Edelstein.

 

Einst wird die Wahrheit glänzend sich entfalten;

Noch aber laßt uns fest zusammenhalten:

Wir tragen das Familienleid allein

 

 

II. – Erinnerung an Fellner

 

In schweren Tagen bist Du heimgegangen,

Gepreßtes Beileid nur war unsre Spende;

Nun denken wir bei stiller Jahreswende

Der Sommerfrüh’, da wir Dein Grablied sangen.

 

Durch fünfmal hundert Jahren rüstig schwangen

Des Freistaats Zepter jährlich neue Hände,

Voll Hoffnung, daß der Himmel Beistand sende,

Wenn ungestüm die Wogen uns umdrangen.

 

Du warst der letzte, der das Banner führte;

Was Wunder, daß der Schicksalsgang dich rührte?

Denn seine Wucht beugt wohl die besten Geister.

 

Und konntest Du dem harten Stolz nicht wehren,

Wir legen den Cypressenkranz in Ehren

Auf Deinen Sarg, geliebter Bürgermeister!

 

 

III. – Blücher in Frankfurt

 

Im Jahre Fünfzehn sahen wir den Alten,

Der heimwärts kam von Waterloo gezogen.

Er sprach zu uns vom hohen Fensterbogen:

„Gott schütze Frankfurt und sein treues Walten!

 

Recht patriotisch wußtet ihr zu schalten,

Wart unsern Truppen hülfreich und gewogen,

Drum kühl’ ich mich zu eurer Stadt gezogen:

Wollt mich in gutem Angedenken halten“. –

 

Dezember Fünfzehn, aus dem weißen Schwan,

Sprach so zum Volk der Marschall vom Altan:

Dies melden zuverlässig alte Bücher.

 

Doch andre Feldherrn auf der Siegesfahrt,

Die redeten zu uns in andrer Art. –

In gutem Angedenken steht der Blücher.

 

 

IV. - Rückblick

 

Wir sah’n des Reiches Glanz in unsern Thoren,

Wir sah’n der Krönungstage buntes Treiben;

Und, sie im Abglanz würdig zu beschreiben,

Ward Wolfgang Goethe noch bei uns geboren.

 

Dann ward allhier ein neuer Bund beschworen;

Der Reichstag, der ersehnte, sollt’ uns bleiben;

Hell drang der Glockenton an unsre Scheiben,

Da man den deutschen Kaiser auserkoren.

 

Zum Heil erfüllen sich die Weltgeschicke;

Wir aber wenden noch bethränte Blicke

Nach allem Schönen, Theuren, das wir hatten.

 

Wenn wir’s mit liebenden Gedanken hegen,

Dann wird dem späten Enkel noch zum Segen,

O Frankfurt! Deines großen Namens Schatten.

 

 

 

 

Theodor Creizenach              An Lenau

1818 – 1877

In banger Zeit hast du dein Lied erhoben,

Kaum fragend, ob es je zur That gedeihe;

Denn schwermuthsvoll war deine Dichterweihe,

Und Schwermuth wirkten dir die Sterne droben.

 

Doch in den dunklen Grund war leis’ gewoben

Ein Hoffungstraum: daß Oestreich sich befreie,

Um einzugeh’n in die Nationenreihe;

Und siehe da! Es hat sich nun erhoben.

 

Du Armer durftest ihm die Zeit der Klage,

Wie Nachtigallen im verkängten Zimmer,

Durch Zaubertöne wehmuthsreich versüßen.

 

Nun kommt der erste Strahl vom jungen Tage;

Doch Memnon ist erstarrt, und kann den Schimmer

Des neuen Lichts mit keinem Klang begrüßen.